Die Transformation Ihrer Organisation in eine agile Organisation ist eine Kunst für sich, wenn man mit den rasanten Änderungen und der Komplexität des modernen Geschäftslebens Schritt halten möchte. Eine erfolgreiche Transformation hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, wie zum Beispiel den involvierten Personen, dem aktuellen Entwicklungsstand, dem verfügbaren Zeitrahmen sowie Unternehmenskultur und Führung. Nachfolgend einige Empfehlungen, um bei Transformationen erfolgreich zu sein, die sich mit Kultur, Strategie und Taktik befassen.
Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass seit der Erstellung des Manifests für Agile Softwareentwicklung (MASD) im Jahr 2001 das agile Mindset zu einem festen Bestandteil unserer Realität geworden ist. Immer mehr Unternehmen haben ihren Kurs geändert und agile Praktiken und Prozesse angewandt. Und noch mehr von ihnen haben es versucht. Für jede erfolgreiche agile Reise (oder Transformation) gibt es viele undokumentierte, gescheiterte Versuche. Entweder wurden sie komplett gestoppt, haben ihre ursprünglichen Ziele verfehlt oder sie blieben einfach irgendwo entlang ihrer Reise stecken.
Im Laufe der Jahre erlebten viele agile Coaches Misserfolge beim Aufbau einer agilen Denkweise. Die Häufigsten, auf die ich gestoßen bin, sind:
- Das falsche Ziel zu haben
- Im Widerspruch zur Kultur zu stehen
- Den falschen Ansatz zu wählen, um die Reise zu beginnen
Wie vermeiden Sie nun diese Fallstricke, damit Ihre agile Reise zum Erfolg führt?
1. Seien Sie sich über Ihre Ziele im Klaren
Eine Sache, die feststeht: Agilität ist kein Selbstzweck! Agile ist das Mittel, nicht der Zweck.
Erfahrene Experten wie Michael Sahota, Autor des „Survival guide for agile transformations“ und erfahrener Führungscoach, stimmen in ihren Certified Agile Leadership-Trainings zu:
“[…] Agile is not a goal. We are not seeking to Do Agile or Be Agile. Of course we will likely use Agile to help us achieve organizational goals. […]” – Michael Sahota, Leadership Trainer and Coach
Worüber sich viele Führungskräfte (auch Manager) in Unternehmen nicht klar sind, sind die wahren Beweggründe für ihre agile Reise. Die Gründe, warum man agil wird, sind vielfältig, z.B.
- mehr Produktivität,
- eine beschleunigte Wertschöpfung für ihre Kunden,
- die Anpassung an sich schnell ändernde Anforderungen und Prioriäten oder
- die Förderung der Mitarbeitermotivation.
Laut dem 12. und jüngsten State of Agile Report erfüllt Agile die Erwartungen. Alle diese Ziele sind wahr und gültig, aber Sie müssen sich dieser Ziele bewusst sein. Mehr noch, nicht nur Sie oder andere Initiatoren der agilen Reise benötigen dieses Bewusstsein, jeder innerhalb der Organisation muss es teilen. Skizzieren Sie die Unternehmensziele, die Sie durch Agilität erreichen wollen. Stellen Sie sicher, dass jeder versteht, was die eigentlichen Gründe für die Transformation sind. Stellen Sie sicher, dass alle verstehen, warum es ihnen helfen wird, diese Ziele zu erreichen.
2. Adressieren Sie alle 3 Bereiche des Wandels
Ich habe einige agile Transformationen und Berater/Coaches erlebt, die sich auf die Einführung von Praktiken und Prozessen konzentriert haben. Ich habe diese Transformationen sogar selbst durchlebt, und ich bin auch einige Meilen in ihren Schuhen gelaufen. Die Gemeinsamkeit auf beiden Seiten: diese Veränderungen haben auf lange Sicht selten überlebt. Rückblickend muss ich zugeben, dass Peter Drucker recht hat:
“Culture eats strategy for breakfast, and strategy eats tactics for afternoon tea.”
Nun, ich habe ein wenig gemogelt. Ich habe den Teil über Taktik und den Nachmittagstee hinzugefügt ;-)
Meine eigene Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Einführung von Praktiken (= Taktiken), die nicht mit den Zielen (= Strategie) und nicht mit der vorherrschenden Kultur übereinstimmen (= Summe aus expliziten und impliziten Verhaltensweisen und Regeln), vertane Liebesmüh ist.
Wenn Sie die Praxis der zweiwöchentlichen Sprints einführen, wenn Sie sich nur auf die Zahlen für das Quartal konzentrieren, denn das ist es, was der Big Boss erwartet und wir alle wollen ihm gefallen, werden die Sprints eher ein Hindernis als eine Leistungssteigerung sein.
Unangenehmerweise sind die drei Bereiche Praktiken/Taktik, Ziele/Strategie und Kultur eng miteinander verzahnt. Investitionen in neue Taktiken und Strategien geben natürlich einen Schub von 20% bis sogar 50%; ohne eine passende Kultur wird sie dennoch sinken und schlussendlich stagnieren.
Um einen nachhaltigen Wandel mit großer Wirkung zu erzielen, müssen Sie kontinuierlich in alle drei Bereiche investieren. Natürlich müssen Sie auch entscheiden, wie viel Energie Sie wann in die jeweiligen Bereiche investieren möchten. Es wird funktionieren, wenn Sie zunächst einen hohen Fokus auf die Transformation von Prozessen und Praktiken auf der taktischen Ebene legen. Um den Wandel zu erhalten und zu verstärken ist es jedoch notwendig, die Ziele und die Organisationsstruktur auch auf der Strategieebene weiter anzupassen. Und um die Veränderungen auf Strategieebene zu erhalten und zu verstärken, müssen Sie auch in Kultur und organisatorische Identität investieren.
Es funktioniert auch umgekehrt: Investieren Sie in Kultur, indem Sie eine überzeugende Vision und ehrliche, authentische Werte entwickeln, damit Sie am Ende das strategische langfristige Denken und die Arbeitspraktiken prägen. Natürlich können Sie auch in der Mitte beginnen, indem Sie kundenorientierte Ziele einführen. Passen Sie die Prozesse an, um sich darauf zu konzentrieren und gleichzeitig die Unternehmensidentität zu beeinflussen.
Es ist weniger wichtig, worauf Sie sich am Anfang konzentrieren, als sicherzustellen, dass Sie in alle drei Bereiche investieren. Finden Sie heraus, wie viel Energie Sie während Ihrer Transformation in alle drei Bereiche investieren, inklusive der kurz- und langfristigen Ziele für jeden Bereich.
Wenn Sie die Schieberegler für einen dieser Bereiche auf Null setzen, werden Sie schnell zu einem Stillstand kommen. Die Vernachlässigung eines Bereichs führt zu abweichenden Auffassungen. Dieser Mangel an aufeinander abgestimmten Rahmenbedingungen schafft Widerstand, der viel Geld kosten wird. An diesem Punkt führen viele Transformationen ins Leere. Daher: Planen Sie Investitionen und Maßnahmen in allen drei Bereichen Ihrer Organisation.
3. Legen Sie Ihre Herangehensweise fest
Nun, da Sie wissen, was Sie erreichen wollen und wo Sie investieren werden, ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, wie Sie vorgehen wollen. In der Vergangenheit habe ich festgestellt, dass dieser Schritt meistens weggelassen wurde. Viele Transformationen haben diesen Schritt ausgelassen und folgen einfach "Best Practices", die einfache Roadmaps für komplexe Veränderungen bereitstellen. Die schlechte Nachricht hier ist, dass es keinen Ansatz gibt, der für alle passt.
Abhängig vom Zeitplan, Ihrer Risikobereitschaft und dem aktuellen Entwicklungsstand Ihrer Organisation gibt es vier grundlegende Ansätze, die Sie verfolgen können:
Revolutionär (Kaikaku)
Verfolgen Sie einen reformatorischen Ansatz, bei dem eine oder mehrere größere Veränderungen von aktivem Coaching und Training auf allen Ebenen begleitet werden. Hier kann man sehr radikale Strukturveränderungen erreichen und sehr schnell sichtbare Veränderungen bewirken. Der Fokus liegt auf der strategischen Ebene, über die Sie dann durch Training und Coaching auf die taktische Ebene gelangen und erst mittel- bis langfristig den kulturellen Wandel durch "learning by doing" erreichen. Die Nachteile liegen auf der Hand: Ein Reformschritt zur Fokussierung auf Ziele, Strategien und Praktiken, die nicht von der vorherrschenden Kultur unterstützt werden, sind unangenehm. Sie erfordern konsequente und disziplinierte (nicht: disziplinäre!) Führungsarbeit, um den Kurs, großes Selbstvertrauen und intensive Arbeit nach dem großen Wandel zu erhalten. Die SAFe® Implementation Roadmap schlägt diese Richtung ein.
Evolutionär (Kaizen)
Langsamer und stetiger, sanfter Wandel, bei dem Sie sich in erster Linie darauf konzentrieren eine Kultur der Verbesserung aufzubauen, durch die Sie dann Prozesse und Praktiken sowie angemessenes langfristiges Denken anstoßen. Dies ist übrigens der bevorzugte Ansatz in der Lean-Kanban Welt. Der Vorteil dabei ist, dass der Aufwand geringer ist. Im Gegenzug dauert es sehr lange, bis echte Veränderungen sichtbar werden. Es erfordert Konsistenz und ein aktives Role Model. Dieser kulturorientierte Ansatz erfordert eine Führungsarbeit, die den Mitarbeiter, die Qualität und das kontinuierliche Feedback in den Vordergrund stellt. Ein weiteres "Problem", das bei einem solchen Ansatz auftreten kann ist, dass man nicht fokussiert an einem Zielbild arbeitet. Durch evolutionäre Veränderungen und Optimierung wird das Unternehmen besser in dem, was es tut, und in der Erreichung seiner Ziele. Aber es ist schwierig auf einen strategischen oder prozessbasierten Plan hinzuarbeiten. Am Ende geht es darum, dass die Taktik der Strategie folgt, und die Strategie sich aus der Kultur ableitet!
Organisch (piloting/shooting star)
Grundgedanke dabei ist, dass in einem kleinen Bereich (z.B. einem Team oder einer Abteilung), der grundsätzlich an Ideen interessiert ist, auf allen drei Ebenen gleichzeitig neue Arbeitsweisen etabliert und stark gefördert werden sollen. Wenn diese "neue Welt" erfolgreich wird, beginnt man die Erfolge aktiv zu kommunizieren und die Arbeitsweise nachhaltig transparent zu machen. So sieht die "Außenwelt", d.h. alle außerhalb der Kulturblase, dass diese Arbeitsweise erfolgreicher oder angenehmer ist und beginnt diese langsam zu übernehmen. Als Change Agent folgen Sie dem Weg des geringsten Widerstandes: Sobald ein Team läuft und andere daran interessiert sind, wie das funktioniert hat, fangen Sie an, die Arbeitsmethoden zu kopieren und anzupassen oder einzupflanzen (= um Menschen aus der "neuen Welt" in die "alte Welt" zu bringen). Das Ergebnis ist ein interessantes Muster, das eine sehr organische Wirkung hat. Auf der Zeitachse liegt dieser Ansatz zwischen Kaikaku und Kaizen. Mit einem kleinen Team kann man schnell erste Ergebnisse erzielen, aber die Gesamtveränderung ist langfristig. Ein Nachteil ist jedoch, dass diese organische Ausbreitung nicht vorhersehbar ist und nicht unbedingt zu einer Gesamtveränderung führt. So kann es sein, dass nur einige Bereiche angesprochen werden, während der Rest des Unternehmens "alt" bleibt. Analog zum biologischen Modell müssen wir mit Immun- und Abstoßungsreaktionen rechnen.
Innovativ (Kakushin)
Wenn man sich für diesen Ansatz entscheidet, denkt man darüber nach, Gewohntes völlig hinter sich zu lassen. Ihr Ziel ist es, bestehende Strukturen und Kulturen vollständig zu ersetzen. Das ist tückisches Terrain für eine agile Transformation. Damit geht oft ein tiefgreifender Wandel, nicht nur der Unternehmenskultur, sondern auch des Geschäftsmodells und der Umsatzgenerierung, einher - eine Unternehmenstransformation selbst. Es ist eine Disruption des Unternehmens auf hohem Niveau. Diese Transformation birgt ein hohes Risiko und hohe Investitionen. Es ist vergleichbar mit ING Belgien, das einen Schalter umlegt und das Spotify-Modell adaptiert hat - mit allen Konsequenzen. Ich würde selten empfehlen eine innovative agile Transformation auf höchster Ebene durchzuführen. Diesen Weg auf kleinen (z.B. Team-)Einheiten zu gehen und den Erfolg auf eine höhere Ebene zu bringen, wird eher den organischen oder revolutionären Strategien gleichkommen.
Kontinuierliches Stacking und Folding
Alle diese Ansätze können - und sollten - aufeinander gestapelt oder ineinander gefaltet werden. Zum Beispiel könnte Ihr Gesamtansatz dem organischen Muster folgen. Sie starten in einem einzigen Team. Aber innerhalb dieses Teams verfolgen Sie einen reformatorischen (Kaikaku) Ansatz und tauschen schnell den Wasserfall mit Scrum aus. Und sobald man sieht, dass man andere Teams infiziert hat, setzt man einen evolutionären Ansatz darauf, um den kulturellen Wandel langfristig voranzutreiben; um weniger gezielte Initiativen zur Förderung einer umfassenden organisatorischen Identität zu nutzen.
Der wichtigste Erfolgsfaktor bei der Wahl dieses Ansatzes ist es, keinen auszuwählen und bei ihm zu bleiben. Beginnen Sie damit einen oder vielleicht zwei ineinander zu falten. Nachdem Sie mit der Transformation begonnen haben, überprüfen Sie regelmäßig Ihren Status, Erfolg und Wohlbefinden. Dann passen Sie die Ansätze an. Sie müssen auf das sich ändernde System reagieren und die gewählten Ansätze ohne Angst überdenken.
Fazit
Um bei der Transformation Ihrer Organisation erfolgreich zu sein, bedenken Sie drei Schritte, bevor Sie beginnen:
- Wohin Sie unterwegs sind: Bringen Sie Ihre Unternehmensziele klar zum Ausdruck, um sich an einer Linie auszurichten.
- Was Sie investieren werden: Entscheiden Sie, wie viel Sie in jeden der drei Bereiche (Strategie, Taktik, Kultur) investieren werden, um Initiativen auf jeder Ebene zu tätigen.
- Wie Sie vorgehen wollen: Gestalten und kartieren Sie Ihren Ansatz zur Transformation, indem Sie grundlegende Strategien zusammenfalten und stapeln, um über Maßnahmenpläne für die Initiativen zu entscheiden.
Es geht nicht primär um die Investitionen per se oder um den geplanten Ansatz. Wesentlich ist in alle drei Bereiche zu investieren, sich der Auswirkungen des gewählten Ansatzes bewusst zu sein und vor allem, die Strategie während der Transformation zu überprüfen und anzupassen.
Agile, Change Management, Agile Transformation