Agile Coaches unterstützen Organisationen auf ihrer agilen Reise. Sie helfen Teams und Management, agile Praktiken anzuwenden, sich dabei laufend zu verbessern. Wie können wir diesen Prozess gezielt gestalten? Anhand eines Praxisbeispiels möchte ich einen möglichen Weg skizzieren.
Das Kundenprojekt
Wir begleiten seit mehr als zwei Jahren ein führendes österreichisches Unternehmen in der Spieleindustrie bei seiner agilen Transformation. Ein Nagarro-Team aus Scrum Mastern und Agile Coaches betreut standortübergreifend verteilte Entwicklungsteams, coacht die Product Owner und das Management – seit Ausbruch der Pandemie vorrangig remote.
Die Teams sind in größeren Einheiten organisiert, sogenannten Tribes, die an einem gemeinsamen Backlog arbeiten, für den jeweils ein Product Owner verantwortlich ist (angelehnt an das Skalierungs-Modell LeSS). Der Tribe, in dem ich tätig bin, umfasst rund 50 Personen.
Der Ablauf in den Sprints ist inzwischen allen Beteiligten gut vertraut. Die Development Teams liefern alle zwei Wochen einen verlässlich hohen Prozentsatz ihrer Forecasts (> 85%). Das Rollout der Software erfolgt nach weiteren Releasetests zeitversetzt in sehr guter Qualität.
Es ist viel tägliche Kleinarbeit notwendig, um diesen Reifegrad zu halten. Und erst recht, um ihn weiter zu verbessern. Natürlich tauchen laufend neue Herausforderungen auf. Darüber hinaus gilt es, die gezielte Weiterentwicklung des Tribes voranzutreiben.
In der ersten Phase bildeten wir unsere Themen als Agile Coaches auf einem Board ab, das alles abdeckte. Eine Mischung aus Impediments, kurzfristigen und längerfristigen Aktivitäten, platzfüllend und raumsprengend. Damit waren wir nicht zufrieden und entschieden uns nach einiger Zeit dafür, etwas anderes auszuprobieren. Unsere strategische Arbeit vom Tagesgeschäft zu trennen und sie mit einem eigenen Board bzw. Backlog zu planen, um Fokus und Übersicht nicht zu verlieren.
Grundlagen der gezielten Weiterentwicklung des Tribes
In einem gemeinsamen Termin schauten wir uns an, welche Maßnahmen wir geplant hatten, in der Umsetzung jedoch stecken geblieben waren. Welche davon waren noch wichtig, welche Ideen hatten wir für die nähere Zukunft?
Um unsere Planung neu zu strukturieren, entschieden wir uns für einen Bottom-Up-Prozess:
- Ideen sammeln, clustern und priorisieren
- Backlog bereinigen
- Schwerpunkte finden und ihnen einen Namen geben
So identifizierten wir konkrete Bereiche, in denen wir Impulse setzen und Verbesserungen anstreben wollten. Was waren unsere Ziele? Dafür hatten wir bereits Grundlagen geschaffen.
- Ein Tribe Manifesto, in dem wir mit den Teams gemeinsam festhielten, wie wir innerhalb des Tribes zusammenarbeiten wollen.
- Das Mission Statement, welches den Zweck des Teams der Agile Coaches und Scrum Master beschreibt.
- Output aus Strategie-Workshops, in denen die Ziele der agilen Transformation erarbeitet wurden.
Daraus weitere Ziele für Verbesserungsschritte abzuleiten, sie mit gefundenen und hinzukommenden Maßnahmen abzugleichen, fiel nicht schwer.
Für die Zieldefinition wendeten wir das Konzept der OKR (Objective Key Results) an, ergänzten unsere Themenbereiche um Zielbeschreibungen und anspruchsvolle Key Results, anhand derer wir das Erreichen von gewünschten Veränderungen erkennen können. Unsere Ergebnisse übertrugen wir nach JIRA und entschieden uns dafür, ab nun unsere mittel- bis langfristigen Maßnahmen in regelmäßigen Sechs-Wochen-Intervallen zu planen und zu reviewen.
Wir wendeten die Prinzipien an, die wir unseren Kunden täglich vermitteln: Ziele zu definieren, das nächste Inkrement an Maßnahmen umzusetzen, auf Veränderungen und Feedback zu reagieren.
Erfahrungen aus der Praxis
So wie unsere Entwicklungsteams mussten auch wir lernen, wie viele der von uns gesetzten Maßnahmen tatsächlich in einem Sprint umsetzbar waren. Vor allem dort, wo wir Kolleginnen und Kollegen aus den Teams für die Umsetzung von Aktivitäten benötigten. Denn das Ziel von Agile Coaches kann wohl nicht darin bestehen, sie von der Entwicklung von Software abzuhalten. Wir mussten unsere Interventionen also in gut dosierten Schritten vornehmen. Kurzfristige Zielsetzungen unseres Kunden veränderten sich coronabedingt sehr rasch. Teile unseres Maßnahmen-Backlogs wurden obsolet, Neues kam dazu. Ideen, die wir gerne umgesetzt hätten, mussten Dringenderem weichen.
Der regelmäßige Zyklus, unsere Planung anzupassen, Termine dafür zu haben, bis dahin noch rechtzeitig etwas fertig bringen zu wollen, darüber zu reflektieren, half uns, neben dem Tagesgeschäft die mittelfristige Planung unserer Aktivitäten beizubehalten. Einen gesteuerten Prozess für die Weiterentwicklung des Tribes anzuwenden und dabei laufend neue Herausforderungen integrieren zu können.
Im Herbst 2020 wechselten wir auf einen Vier-Wochen-Rhythmus, gemäß dem agilen Prinzip, im Zweifelsfall ein kürzeres Intervall zu wählen, um rascher aus Erfahrungen zu lernen. Wir ersuchten unsere Teams quartalweise um Feedback, wozu wir ein strukturiertes Verfahren anwenden, über das ich vielleicht ein anderes Mal mehr erzähle. Jedenfalls ermöglichte es uns, die Korrelation zwischen Stimmung bezüglich bestimmter Themen und gesetzten Maßnahmen zu prüfen. Und tatsächlich konnten wir in Bereichen, in denen wir eine Reihe von Schritten gesetzt hatten, erkennen, dass sich messbare Ergebnisse positiv verbessert hatten.
Ausblick für 2021
Für die Ausrichtung im neuen Jahr wählten wir einen Top-Down-Ansatz. Ist das Ziel unserer Bemühungen noch gültig? Ja. Wir mussten es nur um einzelne Aspekte ergänzen. Von unseren Schwerpunktthemen blieben einige erhalten, andere kamen hinzu. Das Backlog passten wir entsprechend an.
Vom Kunden neu angestellte Scrum Master, haben dabei tatkräftig mitgeholfen und schon ihre ersten Maßnahmen selbstständig umgesetzt. Learning by Doing. Kein Zufall, denn die Weiterentwicklung von internen Scrum Mastern ist u.a. eines unserer Ziele, um Kunden bei agilen Transformationen zu helfen.
Welche Erfahrungen haben Sie in ähnlichen Situationen gemacht? Was hat sich bei Ihnen bewährt, um Ihre Organisation neben dem Tagesgeschäft kontinuierlich zu verbessern? Schreiben Sie mir, ich freue mich auf einen Austausch.
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